Wer erkennt es – März 2024
Das Frühjahr kommt, man kann es riechen und sehen. Die Blumen kommen aus der Erde, die Vögel fangen an zu singen und die Sonne wärmt schon ein wenig. Und – Ostern kommt auf uns zu. Wir sind mitten in der Passionszeit.
Vermutlich geht es Ihnen wie mir, ich bin die langen grauen Tage satt, freue mich auf das Grün an den Bäumen und die Frühjahrsblüher. Freue mich auf das neuerweckte Leben.
Ich habe ein neues Lied herausgesucht, wirklich neu. Und dennoch haben Sie es sicher schon einmal gehört. Mal sehen, ob Sie es erkennen. Hier der Text:
„Ich bin nichts anderes als durchschnittlich
Obwohl ich für manche besonders bin
Ich kann es nicht verweigern, ich gehe unter
Es ist allen scheißegal, was bald kommen wird
Was bald kommen wird
Ich weiß, dass ich mit dem Privileg gesegnet bin,
Machen zu können, was ich will
Aber ich fühle mich nicht so, als ob ich stärker werde
In meinem Kopf ist es nur ein Spiel, das man nicht gewinnen kann
Das man nicht gewinnen kann
Ich bin immer auf der Flucht, Flucht, Flucht, Flucht
Nah dran aber niemals fertig, fertig, fertig, fertig
Ich kann nicht ausbrechen, wenn ich frei bin
Verirrt in meiner eigenen Identität
Ich bin auf der Flucht, Flucht, Flucht, Flucht
Ich bin immer auf der Flucht, Flucht,
Flucht, Flucht
Flucht, Flucht
Flucht, Flucht
Alles, was ich mache, ist den Kopf hoch halten
Aber es ist an der Zeit, den Schritt zu halten
Als ob ich von Stimmen, tief in mir drinnen, heimgesucht werde
Oh, sie werden einfach nie leiser
Werden nicht leiser
Ich bin immer auf der Flucht, Flucht, Flucht, Flucht
Nah dran aber niemals fertig, fertig, fertig, fertig
Ich kann nicht ausbrechen, wenn ich frei bin
Verirrt in meiner eigenen Identität
Ich bin auf der Flucht, Flucht, Flucht, Flucht
Ich bin immer auf der Flucht, Flucht,
Flucht, Flucht
Flucht, Flucht
Flucht, Flucht
(Ich) fliehe vor der Stille
(Ich) Schreie danach geführt zu werden
Für wen kämpfe ich eigentlich?
Geh raus aus meinem Kopf
Ich bin so erschöpft und bin es leid
Ich kann das nicht mehr machen
(Ich) fliehe vor der Stille
(Ich) schreie danach geführt zu werden
Für wen kämpfe ich eigentlich?
Geh raus aus meinem Kopf
Ich bin so erschöpft und bin es leid
Ich kann das nicht mehr machen
(Fliehe, Fliehe)
(Ich) fliehe vor der Stille
(Fliehe, Fliehe)
(Ich) schreie danach geführt zu werden
(Fliehe, Fliehe)
Für wen kämpfe ich eigentlich
(Fliehe, Fliehe)
Geh raus aus meinem Kopf
Ich bin so erschöpft und bin es so leid
(Fliehe, Fliehe)
Ich kann das nicht mehr machen
(Fliehe, Fliehe)
(Ich) fliehe vor der Stille
(Ich) schreie danach geführt zu werden
(Fliehe, Fliehe)
Für wen kämpfe ich eigentlich
(Fliehe, Fliehe)
Geh raus aus meinem Kopf
Ich bin so erschöpft und bin es so leid
(Fliehe, Fliehe)
Ich kann das nicht mehr machen“
Auf der Flucht sein, nicht aus Kriegsgebieten, Hungersnöten oder Naturgewalten.
Auf der Flucht vor sich selbst, vor der inneren Stimme, vor dem Immer-Besser-Sein-Müssen, immer mehr erreichen und nie zur Ruhe zu kommen. Davon handelt es in diesem Lied.
Der Refrain:
„Ich bin immer auf der Flucht, Flucht, Flucht, Flucht
Nah dran aber niemals fertig, fertig, fertig, fertig
Ich kann nicht ausbrechen, wenn ich frei bin
Verirrt in meiner eigenen Identität
Ich bin auf der Flucht, Flucht, Flucht, Flucht“
Man ist nie fertig, kann nie ausruhen, nicht zurückschauen und sagen: Das habe ich gut gemacht. Denn immer steht das Nächste an, die nächste Anforderung. Und diese Anforderung kommt nicht unbedingt von außen, sondern sie kommt oft genug von uns selbst.
Sich ausruhen? Das geht doch nicht, ich muss doch noch, ich habe doch Verantwortung, gegenüber meiner Familie, der Gesellschaft, meinen Freunden. Gerade als Christ muss ich doch diese Verantwortung übernehmen und anderen zeigen, was wichtig ist, muss leisten.
Muss ich das?
Ist es nicht auch wichtig, auch Gott walten zu lassen und sich die Sache entwickeln lassen? Kann ich so wichtig sein, dass es ohne mich nicht läuft? Bitte nicht falsch verstehen, es geht nicht darum nichts zu tun. Es geht darum, nicht in dauerhafte Betriebsamkeit zu verfallen und keine Zeit und Muße zu haben, zurückzublicken oder auch nach vorne zu blicken, Gott zu sehen und zu erkennen.
In einer Strophe heißt es:
„Alles, was ich mache, ist den Kopf hochhalten
Aber es ist an der Zeit, den Schritt zu halten
Als ob ich von Stimmen, tief in mir drinnen, heimgesucht werde
Oh, sie werden einfach nie leiser
Werden nicht leiser“
Es ist die Eigenart unserer Gesellschaft immer im Gange zu sein, Schritt zu halten mit meinen Kollegen, Freunden, kirchlich gesehen mit anderen Gemeinden. Schau einmal, was die anbieten, das wäre doch toll, wenn wir das auch machen würden. Immer vergleichen, gleichziehen, ja, eigentlich sogar zu überholen.
Schneller, weiter, besser.
Wenn ich mein Leben so lebe, dann kann ich das Erreichte aber doch gar nicht genießen. Ich kann Erfolge nicht feiern, kann Besonderes nicht wertschätzen. Warum aber habe ich es dann erreicht? Wir haben es verlernt, Erfolge zu feiern und zu genießen. Innehalten und zurückblicken. Feste feiern wie sie fallen. Und dann gestärkt in die Zukunft schauen, neue Pläne machen, tief durchatmen und neu starten.
„(Ich) fliehe vor der Stille
(Ich) Schreie danach geführt zu werden
Für wen kämpfe ich eigentlich?
Geh raus aus meinem Kopf
Ich bin so erschöpft und bin es leid
Ich kann das nicht mehr machen“
Können wir die Stille nicht mehr ertragen? Brauchen wir ein ständiges Gedudel um uns herum durch Fernseher, Radio, Tiktok oder sonstigem, brauchen wir eine ständige Tätigkeit oder Geräuschkulisse? Immer mehr Menschen sehe ich in meinem Leben, die nicht nur eine Sache tun, sondern am Liebsten mindestens eine mehr. Und ich ertappe mich auch dabei.
Fernsehen reicht nicht, gleichzeitig am Handy daddeln. In einer Sitzung am Handy schnell einmal… Im Restaurant das Handy neben dem leckeren Essen. Damit kann ich mich doch nicht mehr auf mein Gegenüber einlassen, kann den Fernsehfilm nicht auf mich wirken lassen, stresse mich aktiv selber.
Und dann kommen die Auszeiten, die mir viel bedeuten. Wie die Auszeit aussieht, muss natürlich jeder selber sehen, ist für jeden anders.
Es geht darum, zur Ruhe zu kommen, in sich zu gehen und einfach auch einmal genießen. Das kann bei jedem anders aussehen, ob in der Natur oder beim Konzert, in der Menschenmenge oder alleine, Beim Singen, Lesen oder die Wolken betrachten.
Die aktuelle Fastenaktion der evangelischen Kirche „7 Wochen ohne Alleingänge“ soll genau das erreichen: einen Blick auf den Alltag werfen und einen Perspektivwechsel vornehmen. Was ist mir wirklich wichtig? Wie will ich mein Leben gestalten?
Sicherlich nicht auf der Flucht vor mir selber.
Und? Wer hat es erkannt? Es ist das aktuelle Lied, mit dem Deutschland beim ESC antritt: „Always on the run“ von dem Sänger Isaak. Inhaltlich ein sehr gehaltvolles Lied und trifft den Zeitgeist, Ich bin gespannt, ob es bei den anderen Ländern gut ankommt. Mir gefällt es zumindest gut.
Ich wünsche uns allen, dass wir uns die Zeit nehmen, wertzuschätzen, was wir erreicht haben.
Ich wünsche uns, in dieser Passionszeit zu erkennen, was uns wirklich wichtig ist.
Damit wir unser Leben nicht damit verbringen, auf der Flucht vor uns selber zu sein.
geschrieben von Kirsten Gutleben